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Plädoyer für strengere Auflagen bei Staatshilfe

Die staatliche Unterstützung für die touristischen Großkonzerne sorgt für Unmut beim Mittelstand in Deutschland. Reisen mit Sinnen-Geschäftsführer Kai Pardon macht sich Gedanken über strengere Auflagen mit sozialverantwortlichen und nachhaltigen Aspekten. 

Als Spezialveranstalter für nachhaltige Reisen ist Reisen mit Sinnen mit der Thematik bestens vertraut. Gründer Geschäftsführer Kai Pardon sieht die staatlichen Förderungen, die den großen Touristikunternehmen wie TUI, FTI oder Lufthansa zugeflossen sind, sehr kritisch. Während er die Nachhaltigkeit der aktuellen Geschäftsmodelle hinterfragt, regt er an, öffentliche Gelder mehr an sozialverantwortliche und umweltfreundliche Kriterien zu knüpfen.

Ziel der Staatshilfe mit Milliardenbeträgen sei, in der Krise eine Insolvenz zu verhindern. Sowohl die Touristikbranche als auch der Verbraucher und Teile der Politik würden das mehr als kritisch sehen. Sind Hilfspakete in diesem Ausmaß fair dem Mittelstand gegenüber? Ist das fair den Menschen gegenüber, die am wenigsten haben? Ist es fair gegenüber der gesamten Kultur- und Kreativszene? Kai Pardon, der auch Vorstandsmitglied des Unternehmerverbandes „forum anders reisen“ ist, hat seine Gedanken zusammengefasst:

Anregungen und Positionen

„Es ist nicht nachvollziehbar, dass Konzerne in Deutschland, die nicht systemrelevant sind, und das sind touristische Unternehmen nicht, Rettungspakete in dieser Höhe erhalten. Nachhaltigkeit ist bislang im Tourismus allein Unternehmensverantwortung. Es gibt staatlicherseits kaum Steuerungsregeln Richtung Nachhaltigkeit. Wir alle wissen, wie bedrohlich gerade der Klimawandel ist. Viele Urlaubsreisen benötigen eine Fluganreise. Warum wurden die Hilfsgelder nicht mit klaren Bedingungen verknüpft?

CO2-Kompensation bei Flügen

Ich hätte mir beispielsweise gewünscht, dass die Emission der Flüge, solange es noch keinen klimaneutralen Treibstoff gibt, verpflichtend zu 100 Prozent klimakompensiert werden. Das ist zwar eine Krücke, jedoch zurzeit ohne Alternative. Laut Bundesministerium für Umwelt strebt Deutschland bis 2050 eine komplette Treibhausgasneutralität an. Wie soll das erreicht werden, gerade auch beim Flugverkehr? Es ist hier eine Riesen-Chance verpasst worden, den Massentourismus klimafreundlicher und auch sozialverträglicher zu gestalten.

Wir, Reisen mit Sinnen, kompensieren CO2 zu 100 Prozent und übernehmen Verantwortung. Wir verzichten generell auf Kurzstreckenflüge und bieten Flugreisen nur an, wenn unsere Gäste bei einer Fernreise beispielsweise zwei Wochen im Land bleiben. Ein Wochenend-Trip zum Shoppen in New York oder London ist für uns tabu.

Forderungen der Politik

Mit diesen Ansichten steht Reisen mit Sinnen nicht alleine da. Ähnlich äußern sich beispielsweise die Grünen. Deren Sprecherin für Wirtschaftspolitik, Katharina Dröge, verlangt klare Regeln für das Unternehmen: 'Bei Krediten in dieser Größenordnung muss es Bedingungen geben, um Beschäftigung zu sichern und einen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz einzuleiten.'

Wolfgang Steiger, Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrates, betont, dass das Paket (für die TUI und Lufthansa) die absolute Ausnahme sein müsse. 'Wettbewerbsverzerrungen gegenüber kleineren mittelständischen Tourismusunternehmern' sind die Folge.

Die TUI erhielt bislang fast 5 Milliarden Euro. Trotzdem wurden im In- und Ausland tausende Stellen abgebaut. Zudem – und das sollte man nicht vergessen: Der deutsche Staat, letztendlich der Steuerzahler, unterstützt und finanziert einen Konzern, der streng genommen keine deutsche Firma mehr ist. Die TUI ist an der Londoner Börse zu Hause und hat einen russischen Milliardär als Ankeraktionär.

Zweifel am Geschäftsmodell

TUI-Chef Fritz Joussen hat bei den Aktionären für das dritte milliardenschwere Rettungspaket geworben. Er sagte, dass die TUI durch die Reisebeschränkungen in der Pandemie über Nacht zu einem Unternehmen ohne Produkt und ohne nennenswerten Umsatz geworden ist. Wem geht das nicht so, gerade im Tourismus, der Hotellerie und im Gaststättengewerbe? Viele Menschen, nicht nur Wirtschaftsexperten, sondern auch der mitdenkende Verbraucher, haben inzwischen sehr große Zweifel am Geschäftsmodell der TUI. Nicht umsonst ist der Branchenriese Thomas Cook, der eine ähnlich Produktpalette hatte und vergleichbar wirtschaftete, in Konkurs gegangen. Vor Corona!

Solange TUI von öffentlichem Geld abhängig ist, muss das Unternehmen Bedingungen erfüllen. Es gibt Auflagen für die Hilfspakete seitens des Bundes. Doch sind die ausreichend und zielführend? – Der Konzern darf keine Firmen kaufen, darf an die Aktionäre keine Dividenden zahlen und keine Boni an die Manager zahlen. Das wars.

In einer repräsentativen Umfrage im Auftrag von Greenpeace zur Coronakrise sprachen sich 70 Prozent der Befragten dafür aus, Wirtschaftshilfen für Unternehmen an Klimaschutzauflagen zu binden. Und wenn schon von einem 'Neustart' der Wirtschaft die Rede ist – wann, wenn nicht jetzt, ließe sie sich neu ausrichten: klima- und umweltfreundlich, sozial, gemeinwohlorientiert?“ (red.)


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Foto: tip

Autor/in:

Herausgeberin / Chefredakteurin

Elo Resch-Pilcik, Mitgründerin des Profi Reisen Verlags im Jahr 1992, kann sich selbst nach mehr als 30 Jahren Touristik - noch? - nicht auf eine einzelne Lieblingsdestination festlegen.





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