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Digitalisierung: Verschläft die Branche die Zukunft?

Branchenverbände zitieren derzeit gerne die „Renaissance der Reisebüros“, ausgelöst durch Verunsicherung und Sicherheitsbestreben der Konsumenten. Doch ist der stationäre Vertrieb gerüstet für die Herausforderungen durch die rasant zunehmenden Möglichkeiten der Digitalisierung? Eine Bestandsaufnahme.

Als Tummelplatz für innovative Start-ups hat sich Österreich bisher keinen großen Namen gemacht. Natürlich sind Internet und Digitalisierung angekommen, doch gerade in der Reisebranche wird dieses Thema immer noch mit sichtlich großer Skepsis betrachtet. Lange Zeit galt das Web als erklärter Lieblingsfeind des stationären Vertriebs. Nur langsam sickerte durch, dass eine Verknüpfung von On- und Offline eine zukunftsträchtige Lösung sein könnte. Bei den Verbandstagungen stehen zwar regelmäßig Vorträge zur Frage der Digitalisierung auf dem Programm, doch damit scheint das Thema auch schon abgehakt. Die Frage, warum der Technologisierung im Verband nicht mehr Gewicht eingeräumt wird, beantwortet ÖRV-Präsident Joseph Peterleithner:

„Die Unternehmen, die digital unterwegs sind, haben ihren Sitz in Deutschland oder in anderen Ländern. Daher hat das Thema in Österreich nicht die gleiche Bedeutung wie in Deutschland.“

Konkrete Zahlen, wie sich der Online-Markt in Österreich im Vergleich zum stationären Vertrieb entwickelt, gibt es keine. In den vergangenen zwei, drei Jahren hieß es lediglich, dass sich das Online-Wachstum verlangsamt habe und nur mehr zögerlich zulege.

Vogel Strauß-Politik?

Laut einer GfK-Untersuchung am deutschen Markt hat sich die Lage der Reisebüros im Jänner 2017 noch verschlechtert, die der Online-Anbieter verbessert. Vorläufige Ergebnisse der „Reiseanalyse online“ der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) vom November 2016 zeigen, dass die Zahl der Urlauber, die ihre Reise online gebucht haben, im Vergleich zum Vorjahreszeitraum wieder um knapp 7% zugenommen hat. Für Michael Buller, Vorstand des vir, der Interessensvertretung für digitale Touristik, ist das keine überraschende Entwicklung. Er kritisiert, dass der DRV weiterhin von einer „Renaissance der Reisebüros“ spricht, obwohl die Zahlen das Gegenteil belegen.

„Die etablierten Verbände haben dazu eine seltsame Haltung. Diese Entwicklung kann man nicht totreden, aber vielleicht fühlen sich alle gut dabei, obwohl die Schlinge immer enger wird“, wundert er sich über die Verdrängungsstrategie vieler Branchen-Vertreter.

KI läutet neue Epoche ein

„Bis vor zwei Jahren waren das noch Fingerübungen, jetzt hat sich das verselbstständigt. Die Künstliche Intelligenz (KI) kann Geschäftsmodelle infrage stellen“, konstatiert Buller eine Beschleunigung bei den Veränderungen und regt zum Handeln an.

Als Beispiel nennt er ein Call Center, das auch mit KI betrieben werden kann. Statt „drücken Sie 1, 2 oder 3“ gibt es dann eben eine Sprachansage zur Weiterverbindung, „wenn Sie eine neue Rechnung brauchen, dann…“. In weiterer Folge wird die neu ausgestellte Rechnung automatisiert an den Anrufer versandt. Ein praktisches Beispiel von KI hat Traffics soeben vorgestellt: Die „Recommendation Engine“ soll dem Reisevermittler helfen, Kunden alternative Produkte zu empfehlen und daraus maßgeschneiderte Angebote zu erstellen. Die Vorschläge basieren auf Bewertungen, Hotelfakten und Bewegungsinformationen aus den Caching-Systemen und anderen nutzerspezifischen Daten.

Künstliche Intelligenz mit Leitplanken

„Bei der Digitalisierung geht man nicht vom Nutzen aus, sondern vom Schlechtesten. Die Diskussionen aus der Negativperspektive behindern uns“, kritisiert Buller nicht zuletzt in Hinblick auf die neue Pauschalreiserichtlinie.

Für Konsumenten ist es toll, wenn sie mit einem Click eine Pauschalreise bei Google buchen können. Bedenken bezüglich des Datenschutzes werden da schnell über Bord geworfen. Auch Shared Economy-Produkte sind größtenteils einfach und preiswert zu kaufen und daher entsprechend erfolgreich. Sie jetzt mittels gesetzlicher Regelungen eindämmen zu wollen, wird nur schwer durchsetzbar sein.

„Für die Künstliche Intelligenz sollten wir über Leitplanken nachdenken bevor es wieder zu Verboten kommt. Wir müssen diskutieren, was wir wollen und dann eine Art Ethik-Code erarbeiten“, regt Buller an.

Und wie können Reisebüros die Digitalisierung für sich nutzen? Birgit Aust von der TVG siedie Einzige in der Branche, die mit der Digitalisierung mit Konzept umgeht, streut der vir-Vorstand Rosen. Die TVG, eine FTI-Tochter, hat alle Kanäle - stationäres Reisebüro, Online bis hin zu Fernsehen - miteinander verknüpft. Einer allein könne das nicht. KI- und Digitalisierungs-Lösungen können nur in großen Verbünden gemeinsam vorangetrieben werden, ist sich Buller der Hürden für kleine Einzelkämpfer bewusst. Es sei Aufgabe der Industrie darüber nachzudenken, wie der digitale Anschluss geschafft werden kann. (red)


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Foto: tip

Autor/in:

Herausgeberin / Chefredakteurin

Elo Resch-Pilcik, Mitgründerin des Profi Reisen Verlags im Jahr 1992, kann sich selbst nach mehr als 30 Jahren Touristik - noch? - nicht auf eine einzelne Lieblingsdestination festlegen.





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