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Tina Kirfel: Was nervt, ist die nicht vorhandene Preisparität

Tina Kirfel, Geschäftsführerin der Kreuzfahrt-Initiative (KI), kennt die Sorgen des Vertriebs ebenso wie die der Reedereien. 

Die Kreuzfahrt-Initiative hat ein Positionspapier erstellt, bei dem Geschäftsführerin Tina Kirfel ganz bewusst auf Forderungen verzichtet, „da derzeit überall irgendwas gefordert wird“. Ihr geht es vielmehr um Kommunikation auf Augenhöhe zwischen Vertrieb und Reedereien. Dass alle Anbieter auf Direktvertrieb setzen, kann Kirfel nachvollziehen und sieht es als Recht der Reedereien. Was sie allerdings extrem irritiert, ist, dass der stationäre Vertrieb seit Jahren als zweitklassige Alternative angesehen wird. Mit tip-online hat sich Tina Kirfel über das Vorgehen der Reedereien in der Krise unterhalten, ebenso wie über die Perspektiven der Kreuzfahrt in den nächsten Monaten und einige andere Themen.

Fragen & Antworten

tip-online: Wie nimmst du als Kreuzfahrt-Expertin die aktuelle Lage wahr?
Tina Kirfel: Es ist nach wie vor dramatisch, es geht beiden Seiten, den Reedereien und dem Vertrieb, schlecht. Die Reedereien haben jeden Tag enorme Fixkosten. Und dann auch noch die Ungewissheit, wann und wie fährt man wieder los. Teilweise wurden die Abfahrten ja schon bis Ende Oktober oder November oder gar noch länger abgesagt. Im Moment gibt es keine offiziellen Auflagen für die Wiederaufnahme des Betriebs. Die Reedereien werden sicherlich nicht mit voller Auslastung fahren können. Zudem erscheinen mir die Hygiene-Vorschriften absolut nicht zu Ende gedacht, von der Politik. Alle Gäste werden getestet, weniger Gäste an Bord und dann gehen die Gäste an Land und mischen sich unters Volk........ Ich finde, das ist sehr schwammig. Alle suchen nach Antworten, aber keiner kann sie geben.

tip-online: Wie haben die Reedereien in der Krise gegenüber den Reisebüros agiert?
Tina Kirfel: Meiner Meinung nach haben sich hier einige nicht gut verhalten und tun es immer noch nicht. Es geht beiden Seiten schlecht, aber wir hatten gemeinsam viele gute Jahre, da sollte man auch in einer Krise gemeinsam agieren und sich gegenseitig unterstützen. Einige Kollegen haben ihre Telefone abgeschaltet, Antworten dauern Wochen und die Provisionen wurden automatisch zurückgebucht. Das war in Deutschland eine Katastrophe. Einige Kollegen waren sehr fair, besonders die internationalen Kollegen, die oft auch ein anderes Verständnis von Dienstleistung haben als wir. Die Krise hat die Schwächen noch mehr aufgedeckt, wir stehen einfach nicht zusammen. Ich würde mir wünschen, dass beide Seiten Verantwortung übernehmen. Reisebüros haben keine Kunden im Regen stehen lassen. Die Kommunikation mit den Reedereien ist oft nicht gut. Konstruktives Reden hilft, aber Schweigen ist echt einfach Mist. Zudem haben die meisten Reedereien alle Zahlungen eingestellt, auch Werbekostenzuschüsse, für die bereits die Leistung erbracht war. Das macht man nicht. Der Vertrieb fordert nicht nur, er möchte auch Wertschätzung erfahren und auch den Willen zur Veränderung sehen. Wir müssen gemeinsam eine Lösung für die Zukunft erarbeiten. Mir geht es nicht darum, Forderungen zu stellen, sondern auf Augenhöhe zu reden. Ich stelle aber fest, dass der Wille, wirklich mal die Perspektive zu wechseln und etwas zu verändern, oft fehlt.

Reisen muss wieder wertgeschätzt werden

 

tip-online: Die Kunden haben ihr Geld von den Reedereien ja erhalten, aber die Reisebüros nicht...
Tina Kirfel: Mit Kreuzfahrten sind beide Seiten jahrelang auf der Erfolgswelle geschwommen und haben gut verdient. Das Dilemma jetzt war, dass die Reisebüros die Arbeit gemacht haben, der Kunde kriegt sein Geld zurück, dem Vertrieb bleiben keine Erlöse. Ich meine, zum Bespiel, es wäre wichtig, eine Lösung für die Zukunft zu finden, die auch den Kunden mit einbezieht. Es ist den Kunden zumutbar, dass sie keine 100%-Rückzahlung erhalten, sondern dass ein Prozentsatz bei den Reisebüros und auch Reedereien für deren Bearbeitung, Expertise und Beratung bleibt. So langsam fährt der ein- oder andere wieder los und wir haben nichts verändert. Jede andere Branche hat nach Corona einen Zuschlag für Hygiene-Maßnahmen genommen oder gar die Preise erhöht. Nur wir meinen, so sagte es ja die TUI, „Reisen muss billiger werden.“ Ich finde das fahrlässig. Reisen muss teurer werden und wieder wertgeschätzt werden vom Kunden. Wir haben uns die letzten Jahre immer mehr und ausschließlich über den Preis definiert und uns allen damit keinen Gefallen getan. Aber ändern kann man das nur, wenn alle es wollen und nicht nur einige.

tip-online: Also in Summe mehr Provision für jede gebuchte Kreuzfahrt?
Tina Kirfel: Der Kunde kann nicht glauben, dass das Reisebüro umsonst gearbeitet hat, egal was er gebucht hat. Es ist aber nicht einfach, die Kollegen zum Umdenken zu bewegen, da es seit 25 Jahren einen Mechanismus gibt, der das nicht vorsieht. Wenn wir das nicht lösen, machen wir weiter wie bisher. Die allgemeinen Provisionen für Kreuzfahrten sind ok. Aber warum gibt es bei Stornos weniger Provision, wenn das Reisebüro dabei die doppelte Arbeit hat? Warum gibt es auf Landausflüge gar keine Provision? Das hat sich in den letzten Jahren so eingeschlichen. Das Gesamtpaket muss sich ändern und wir können auch dem Kunden zumuten, sein Verhalten zu ändern.

Auch die touristischen IT-Anbieter sind gefordert, weil alle nur preisgetrieben agieren. Das billigste Angebot steht immer ganz oben. Dadurch hat das Reisen in den vergangenen Jahren einfach seinen Wert verloren und der Kunde glaubt, dass er alles immer irgendwo noch billiger bekommt.

tip-online: Hast du über dieses Thema schon mit den Reedereien gesprochen?
Tina Kirfel: Wir haben ein Positionspapier erstellt, jedoch sprechen wir bewusst nicht von Forderungen, denn das finden wir falsch. Es muss ein Umdenken auf beiden Seiten stattfinden. Ich beobachte aber aktuell, dass im Vertrieb einiges in den Köpfen passiert und niemand einfach wieder so weiter machen wird wie vorher. Da bin ich gespannt, was sich daraus noch entwickelt. Bei den Reedereien sind viele international gesteuert, da treffen Kulturen aufeinander und wirkliche Änderungen sind eher schwierig, leider. Aber wenn die lokalen Anbieter - Hochsee wie Fluss - sich da bewegen würden, wäre das für den DACH Markt enorm wichtig. Die Beratung und Expertise am Counter werden nicht wertgeschätzt, weder vom Kunden noch von den Reedereien. Durch die Pandemie ist zum Vorschein gekommen, wie krank dieses System ist. Alles, was „on top“ ist, muss in allen anderen Branchen bezahlt werden, nur im Reisebüro nicht.

 

Wir kriegen das als Branche nicht hin

tip-online: Da müsste die KI doch die ganze Branche hinter sich stehen haben, oder?
Tina Kirfel: Das wäre schön und auch wichtig, aber leider nein. Wir kriegen das in der Branche nicht hin, wir sind uns auch im Vertrieb nicht einig. Jede Kette und Kooperation agiert allein und macht alles für sich.

tip-online: Lässt sich schon abschätzen, wie die ersten Kreuzfahrten nach der Betriebspause aussehen werden?
Tina Kirfel: Wenn jedes Land andere Regeln hat, wohin kann man dann fahren? Auf den Flüssen ist das etwas einfacher.

tip-online: Wenn Landgänge nur mit hohen Auflagen verbunden sind, ist es dann vorstellbar, dass es „Nowhere-Cruises“ (Anm.: Kreuzfahrten ohne Landgänge) geben wird?
Tina Kirfel: Ich glaub nicht, dass Menschen nur das Schiff als Destination wählen würden. Was ich mir eher vorstellen kann, ist ein Trend zu Privatinseln wie es sie in der Karibik bereits gibt. Also eine Art Parallelwelt, bei der nur eigene Inseln der Reedereien angelaufen werden.

tip-online: Werden Mega-Liner nach der Krise noch gefragt sein?
Tina Kirfel: Große Schiffe haben ein Problem, solange es keinen Impfstoff gegen Covid-19 gibt. Der Gast wird die negativen Schlagzeilen vergessen, aber die Frage ist, wie lange das dauern wird.

tip-online: Was können die Reedereien tun, um schnell wieder zu Normalität zurückzukehren?
Tina Kirfel: Hier gibt es kein richtig oder falsch. Normalität wird bei Kreuzfahrten erstmal nicht einkehren, meiner Meinung nach. So sehr wir uns das auch alle wünschen. Es sind zu viele Fragen offen aktuell und ein großes Schiff nur halbvoll ist auch von der Atmosphäre her nicht so schön, finde ich. Auch bei Landgängen sind viele Fragen offen, wird es Schnelltests geben? Die Seychellen zum Beispiel haben angekündigt, bis 2022 keine Kreuzfahrten anlaufen zu lassen. Ein Schiff hochzufahren kostet viel Geld. Wenn eine Reederei dann nicht weiß, welche Häfen sie anlaufen kann, funktioniert das nicht. Für Hapag Lloyd Cruises ist es wahrscheinlich einfacher, da sie kleine Schiffe haben. Es ist vorstellbar, dass vorerst nur Nord-Routen ab Deutschland angeboten werden, eventuell auch nur für deutsche Gäste. Das ist aber meine ganz persönliche Meinung. Bei größeren Schiffen ist es schwierig. Hier fehlen ja auch die Gäste aus Übersee.

tip-online: Welchen Einfluss auf das Produkt hat die neue Realität?
Tina Kirfel: Bei den Routen ändert sich wahrscheinlich nichts, bei den angelaufenen Destinationen schon, siehe das Beispiel der Seychellen. Bei den Häfen wird es mehr Abstimmung geben, aber das ist schon länger im Gespräch. Viele Destinationen leben von den Schiffen. Aber immer größer und immer weiter ist nie gut. Die Welt vom Wasser aus zu entdecken, ist wunderschön. Ich glaube aber, dass das Maß verloren gegangen ist an einigen Stellen.

Schwer, 25 Jahre alte Muster zu verrücken

tip-online: Viele Reedereien setzen stark auf Direktvertrieb. Wie seht ihr als KI das? 
Tina Kirfel: Für mich ist das Thema völlig ok, denn die wirtschaftliche Verantwortung liegt bei den Reedereien. Nur das WIE ist oft nicht in Ordnung. Hier entbehrt es meist jeder Fairness. Die Reederei sollte bei einer direkten Kundenansprache auch das Reisebüro erwähnen, bei dem der Kunde ursprünglich gebucht hat. Das Reisebüro investiert viel in Beratung der Kunden und hat viel Aufwand. Dafür gibt es Provisionen. Aber was nervt, ist die nicht vorhandene Preisparität und dass dem Vertrieb immer das Gefühl gegeben wird, dass Provisionen teuer sind und ein Direktkunde billiger. Für mich ist das aber zu kurz gesprungen und in Geschäftsbeziehungen auf Augenhöhe keine gute Haltung. Das ist einfach nicht ok.

tip-online: Wie stehen die Reedereien denn zum Vertrieb über Reisebüros?
Tina Kirfel: Was mich seit Jahren aufregt, ist, dass die Reedereien auf den Vertrieb heruntergucken. So nach dem Motto „der Vertrieb muss froh sein, dass er uns verkaufen darf“. Das nervt total! Ich würde mir wünschen, dass der Reisevertrieb nicht als Kanal zweiter Klasse angesehen werden. Der Reisebürokunde gilt als Kunde zweiter Wahl. Es gibt nur einen Kunden und der sucht sich den Kanal aus, auf dem er buchen will. In den letzten Jahren ist der Direktvertrieb immer stärker geworden, wenn man aber die Zahlen detailliert analysiert, sind es sehr oft Verschiebungen vom Reisevertrieb zum Direktvertrieb, aufgrund nicht vorhandener Preisparität. Der Kunde bucht dann oft direkt, weil er Vorteile hat und diese Diskussionen um den Kunden sind nicht förderlich für eine motivierte Zusammenarbeit. Und sie sind auch nicht nötig, meiner Meinung nach. Man könnte mit einfachen Dingen diesen ewigen Diskussionen entgehen. Der Kunde ist informiert genug, um zu wissen, was er tut. Da muss man sich nicht gegenseitig die Kunden abjagen. Die Reisebüros sollten aber auch aufhören, immer mehr von ihren Provisionen abzugeben, um Rabatt zu geben und mitzuhalten. Diese Abwärtsschleife ist nicht gut. Kurzum: einheitliche Preise, keine Rabatte und dem Kunden auch mal NEIN sagen, bis hierhin und nicht weiter. Wie sonst sollen wir Reisen wieder wertvoll machen, wenn wir das nicht bei der Wurzel und ganz vorne anfangen? Aber das geht eben nur gemeinsam, Reedereien und Vertrieb zusammen und wenn man den steinigen Weg wählt und nicht den einfachsten. Es ist echt schwer, 25 Jahre alte Muster zu verrücken. (red.)


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Foto: tip

Autor/in:

Herausgeberin / Chefredakteurin

Elo Resch-Pilcik, Mitgründerin des Profi Reisen Verlags im Jahr 1992, kann sich selbst nach mehr als 30 Jahren Touristik - noch? - nicht auf eine einzelne Lieblingsdestination festlegen.





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