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Fit for Life@Work: Eine psychotherapeutische Annäherung an die Krise

Was es mit dem Klopapier auf sich hat oder ein Versuch, sich aktuellen Auswirkungen von Corona zu nähern. Ein Gastbeitrag von Birgit Tscherteu.

Kennen Sie die vermehrt in Social-Media geposteten, wohlmeinenden Texte? Die, die uns mitteilen, wie sehr sich auf Grund der Corona-Situation (meist gleich die ganze) Menschheit nunmehr auf ihre „wahren Werte“ besinnen könne? Oder die Bilder, die sich über die sogenannten „Hamsterkäufer“ von Klopapier lustig machen? Diese Texte und Bilder rufen unterschiedliche Reaktionen von Amüsement bis Ärger hervor. In einigen Fragen wird versucht, sich den durch Corona verursachten Phänomenen zu nähern.

Was kann man in der Corona-Krise sehen, wenn man sich oder das soziale Umfeld betrachtet?

Corona konfrontiert uns mit Ereignissen und Lebensumständen, die uns von Art und Ausmaß unbekannt sind. Die Anforderung der Zeit ist, sich auf die neue Situation einzustellen. Dabei realisieren wir zusehends, dass Corona weite Kreise zieht, die über Fragen der Gesundheit hinausgehen und in soziale, kulturelle und wirtschaftliche Bereiche hineinreichen. Darunter fallen auch Folgen für und Sorgen um den Arbeitsplatz. Corona ist somit kein scharf begrenzbares Thema und wird an ganz unterschiedlichen Punkten als belastend wahrgenommen.

Eine Frage der Intensität?

In welcher Intensität sich diese Belastungen auf das Gleichgewicht des Einzelnen auswirken, hängt von etlichen zusätzlichen Faktoren - etwa der subjektiven Bedeutung oder den Ressourcen - ab. Ein recht offensichtliches Beispiel zur subjektiven Bedeutung wäre eine Infektion im unmittelbaren Umfeld/bei sich selbst. Ein anderes ist die veränderte Arbeitssituation mit Home-Office, vielfach parallel zur Kinderbetreuung. Die gewohnte Struktur wird durcheinandergewirbelt. Als Ressource wäre etwa ein stabiler Freundeskreis oder eine haltgebende Beziehung zu nennen. Wir befinden uns in einer vielzitierten Krisensituation, aber wann spricht man von einer Krise eines Individuums? Wann wird die Intensität “zu hoch“? Etwas verkürzt gesagt dann, wenn die gewohnten Strategien zur Bewältigung von Belastungen nicht mehr funktionieren. Das Gleichgewicht ist massiv gestört. Selbst wenn nicht alle Bewältigungsstrategien „ausfallen“, sind in der Corona-Zeit Gefühle der Unsicherheit spürbar. Der Mensch ringt um Kontrolle – staatlich wie individuell, im neuen Alltag ebenso wie in der seelischen Verfassung.

Was macht diese Unsicherheit mit uns?

Jeder Mensch ist unterschiedlich und reagiert daher entsprechend seiner persönlichen Situation und Geschichte. Unsicherheit erzeugt neben Stress, Gefühlen der Verwirrung oder Wut auch Angst. Auftretende Gefühle sind dabei nicht nur verständlich, sie sind auch meist nicht „rund um die Uhr“ gleich intensiv. Zu beachten ist dabei auch, dass Corona derzeit die Medien beherrscht. Für den Einzelnen ist damit zeitgleich sehr viel bekannt wie ungewiss. „Bin ich infiziert, wird sich mein Partner, meine Eltern, mein Kind infizieren? Was passiert dann? Werde ich meinen Job behalten?“ Diese Fragen begleiten uns, lassen sich aber mit keiner noch so guten Statistik beantworten. Ein Zuviel an Medienkonsum kann die immanent vorhandene Unsicherheit verstärken; passen Sie daher auf Panikmacher und generell auf ihren Medienkonsum auf.

Wie war das jetzt mit dem Klopapier, den Hamsterkäufen und warum häufen sich die Witze dazu?

Im Versuch die Emotionen im Gleichgewicht zu halten, bemüht sich der Mensch die Kontrolle zu behalten/seine Grenzen zu wahren. Ein Virus macht es uns da nicht leicht - Corona kann ungebeten in den Körper eindringen (Grenzverletzung) und verursacht Krankheit (Kontrollverlust). Auch die Jobgefahr ist eine Form von drohendem Verlust, die dem Bedürfnis nach Kontrolle entgegensteht. Verliert der Menschen dann das Gleichgewicht, hat also z.B. sehr große Angst, können wie beschrieben die bislang angewandten, bewährten Strategien versagen. Irrational scheinende Handlungen sind die Folge. Auch der Effekt der Masse ist hier nicht zu unterschätzen, durch den es wahrscheinlich potenzierende Effekte gibt.

Hierzu das Beispiel mit dem Klopapier:

Wahrscheinlich kennen Sie eher niemanden, der vor der Krise beim Anblick eines leeren Klopapier-Regals in Angst geraten wäre. Die rationale Überlegung zur Versorgung der Supermärkte wäre ausreichend gewesen, um im Gleichgewicht zu bleiben. In der Krise reichen rationale Überlegungen zur Versorgung nun nicht mehr aus, um Herr*in der Lage zu bleiben. Hinzu kommt der potenzierende Effekt der Masse – alle scheinen Klopapier zu kaufen, „etwas stimmt nicht“, „man muss sich ängstigen“. Der Hamsterkauf stellt hier einen (unbewussten) Versuch dar, mit der Angst umzugehen, er wird zur Bewältigungsstrategie.

Ähnlich verhält es sich mit Humor, einer wunderbaren Strategie, um Spannung abzubauen. So können auch die eingangs erwähnten, betont positiven Postings als Strategie betrachtet werden. Wenn sie sich also einmal über einen Text/einen Mitmenschen ärgern oder nur mehr verwundert den Kopf schütteln können, erinnern Sie sich vielleicht daran: oft geht es um den Versuch der Bewältigung – und in Zeiten wie diesen gilt es zusammen zu halten.

Was kann man konkret tun?

Neben den wahrscheinlich bekannten Tipps zum Kontrollgewinn via Strukturerhaltung (siehe auch die Links unten) plädiere ich in einer Zeit, in der die Psyche schon genug zu tun hat ganz einfach vor allem für Eines. Für einen milden, solidarischen und wohlwollenden Umgang - mit sich selbst und Miteinander! Häufen wir nicht noch Anspannung dazu. Und: wenn Sie das Gefühl haben, es geht nicht - reden Sie darüber! Mit anderen oder bei einer der eingerichteten Hotlines/Onlineberatungen.

Links:

• Praktische Tipps „Wie Sie häusliche Isolation und Quarantäne gut überstehen“ bietet das Informationsblatt des BÖP (Berufsverband Österr. PsychologInnen): 

• Psychotherapeutische Hotlines, Frauenhotline, Rat auf Draht, Telefonseelsorge, aufgelistet vom ÖBVP (Österr. Bundesverband für Psychotherapie). Auf der Homepage des ÖBVP können Sie auch Psychotherapeut*innen suchen, die derzeit telefonisch oder via Videotelefonie arbeiten.

Auflistung von weiteren Hilfsplattformen (u.a. Männernotruf, HaltderGewalt).

Kriseninterventionszentrum 

Über Birgit Tscherteu

Dipl. Ingin. Birgit Tscherteu ist Psychotherapeutin (in Ausbildung unter Supervision). Nach vielen Jahren in Führungspositionen in Wirtschaftsunternehmen hat sie sich mit der Psychotherapie-Ausbildung ihren zweiten, großen Berufswunsch erfüllt. Sie lebt in Wien und arbeitet (derzeit wegen Corona telefonisch/via Videotelefonie) in eigener psychotherapeutischer Praxis. www.psychotherapie-tscherteu.at

(red.)


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Foto: tip

Autor/in:

Herausgeberin / Chefredakteurin

Elo Resch-Pilcik, Mitgründerin des Profi Reisen Verlags im Jahr 1992, kann sich selbst nach mehr als 30 Jahren Touristik - noch? - nicht auf eine einzelne Lieblingsdestination festlegen.





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