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Kraj Vysocina – zu Besuch bei Schwejks Kumpanen

„Nach dem Krieg um sechs im Kelch“, ruft der brave Soldat Schwejk zum Abschied seinem Kumpanen Woditschka noch zu. Aber wer nimmt es schon so genau? Der „Kelch“ heißt inzwischen „Zur tschechischen Krone“, und Schwejk ist den ganzen Tag über da, nicht erst um sechs. Denn wer hier in Lipnice nad Sázavou in der Kraj Vysocina ein Krügerl auf Schwejk oder seinen Schöpfer Jaroslav Hasek leert, der trinkt auf historischem Boden.

An den Tischen dieser Gaststube hat Hasek seinerzeit den Schwejk geschrieben, in diesem Haus hat er gewohnt – und die Wirtsleute sind die Urenkel der tschechischen Literatur-Legende. „Hasek hat damals gejubelt, dass ein Traum in Erfüllung gegangen sei: Endlich wohne er in einem Gasthaus“, erzählt Petra Pelus-Haskova. Ihr Traum ist es, gemeinsam mit ihrem Bruder Martin die Erinnerung an ihren Urgroßvater wach zu halten. Dabei scheint es, als wäre das gar nicht nötig – Hasek und Schwejk sind hier sowieso überall präsent. Im Gastraum der „Krone“, in dem kleinen Museum, nur ein paar Meter entfernt, in dem Hasek zuletzt gelebt hat und in dem er auch gestorben ist. Selbst oben an der Burg, die einst den österreichischen Herren von Lichtenberg und später auch mal den Habsburgern gehörte, fällt sein Name: Hasek, lässt der junge Guide die Besucher wissen, habe selber hier oben als Fremdenführer gearbeitet. Man habe ihn nur aus dem Gasthaus holen müssen, und dann habe er den Leuten drei Stunden lang alles über das 700 Jahre alte Bauwerk erzählt – und das, so der Führer schmunzelnd, obwohl er gar nichts über die Geschichte der Burg gewusst habe. Man spürt, die Tschechen lieben ihren Hasek. Vielleicht weil er so vieles von dem war, was viele von ihnen gerne wären: ein Hallodri, ein Vagabund, ein Schelm, ein Rebell und ein Anarchist. Nicht zu vergessen ein großer Trinker vor dem Herrn, was als Begründung dafür herhalten muss, dass noch immer manch einer das Grab des Dichters, das nur einen Steinwurf hinter der „Krone“ liegt, mit leeren oder auch vollen Bierkrügen schmückt.

„Reboot des Kopfes“

Die „Tschechische Krone“ steht im nördlichen Teil der Region Vysocina. Mit knapp 7.000 Quadratkilometern ist die Kraj Vysocina etwa so groß wie das Bundesland Salzburg und hat mit etwas mehr als 500.000 Einwohnern auch ungefähr dieselbe Bevölkerungsdichte. Touristisch ist sie aber ein eher weißer Fleck auf der Landkarte. Immerhin beherbergt man zwei Naturschutzgebiete und drei Weltkulturerbestätten der UNESCO: Die historische Altstadt von Telc, das jüdische Viertel und die Basilika von Trebic sowie die barocke Wallfahrtskirche Zelená Hora bei Zd'ar nad Sázavou. Große Städte sucht man in diesem Teil Tschechiens vergeblich, entsprechend ausgeglichen und sanftmütig wirken die Menschen in diesem Teil der Welt. Und bodenständig: „Die Leute hier sind stolz“, sagt Constantin Kinsky, der im alten Schloss und dem dazugehörigen Kloster von Zd'ar nad Sàzavou das „Museum der neuen Generation“ betreibt. Stolz auf ihre Heimat, und „stolz auf dieses Museum, weil sie sich hier wiederfinden.“ Kinsky lebte bis 1997 als Investmentbanker in Paris, ehe er zurückkam in die Kraj Vysocina. Seiner Großmutter Eleonore gehörte einst das Schloss, und sein Museum ist ein Beweis dafür, dass man Geschichte spannend erzählen und gespannt erleben kann. Ein „Reboot des Kopfes“ nennt Kinsky sein Museum: „Der Einzige, der die Wahrheit kennt, ist der Besucher“, sagt er, und das ist nicht der einzige Satz mit Schwergewicht, der an diesem Tag fällt. Oberhalb der Anlage thront die Wallfahrtskirche des Heiligen Nepomuk, eine der Weltkulturerbestätten in der Kraj Vysocina. Die Legende besagt, dass Johannes Nepomuk in der Moldau ertränkt wurde, weil er als Beichtvater von Königin Sophie dem König nicht verraten wollte, was ihm dessen Gattin im Beichtstuhl geflüstert hatte. Als er starb, soll über seinem Kopf eine Krone mit fünf Sternen geleuchtet haben. Heute gilt es zwar als wahrscheinlicher, dass Nepomuks Tod politische Gründe hatte, die Geschichte mit dem Beichtgeheimnis ist aber viel zu schön, um sie aufzugeben. In der Barockzeit erfreute sich die Wallfahrtskirche auf dem grünen Hügel (Zelená hora) eines großen Zustroms von Pilgern, auch weil sie Stoffreste aus dem Grab Nepomuks beherbergt. Die Anfang des 18. Jahrhunderts erbaute Kirche wurde bei einem Brand im Jahr 1784 schwer beschädigt und erst in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts restauriert. Seit 1994 gehört sie zum Weltkulturerbe der UNESCO.

Jüdische Stadt ohne Gemeinde

Auch rund 35 Kilometer weiter südlich, in dem Städtchen Trebic, schmückt man sich mit einem Weltkulturerbe – was fehlt, sind die passenden Einwohner. Es ist das jüdische Viertel, das man stolz dem Besucher präsentiert, eines der größten zusammenhängenden Ensembles in Europa. Nur eine jüdische Gemeinde gibt es halt seit 1968 nicht mehr. Von den 281 Juden, die 1942 aus Trebic nach Theresienstadt verschleppt wurden, haben nur zehn überlebt. Trotzdem erwecken Menschen wie Linda Navratilova die Vergangenheit hier gerne wieder zum Leben. Ihr „Czech Jewish Experience“ führt den Besucher zurück in die Zeit, als hier noch reges jüdisches Leben herrschte. Besuche der Altstadt und des jüdischen Friedhofs, der Synagogen und jüdischer Restaurants stehen auf dem Programm. Es gibt sogar eine Verkostung von koscherem Wein bei Sommelier Tibor Szabo. Die Kraj Vysocina war einst der Landsitz des Adels. Einen beeindruckenden Überblick davon bekommt der Besucher im Renaissance-Schloss von Jaromerice nad Rokytnou. Sein heutiges Aussehen erhielt der Prachtbau zwischen 1700 und 1737, als Graf Johann Adam von Questenberg die mittelalterliche Feste ausbauen ließ. Questenberg war ein Freund der schönen Künste, weshalb man heute beim Rundgang neben altem, kostbaren Mobiliar und Porzellan überall auch Musikinstrumente bewundern kann. Und selbst der intime Blick in die Badestube der Schlossherrin wird dem Besucher nicht verwehrt. Wer nicht nur sehen will, wie die besser Betuchten früher lebten, sondern selber gerne mal hoheitlich nächtigen möchte, sollte sich eine Nacht im Schlosshotel Zamek Valec oder im Château Heralec gönnen. Letzteres wirkt von außen, als sei es soeben aus einem Märchenbuch gefallen – und tatsächlich stammen zumindest die Grundmauern aus dem 13. Jahrhundert –, wurde aber im Jahr 2009 von einer slowakischen Unternehmerfamilie grundlegend renoviert. Heute dient es als Hotel mit ganz besonderem Flair, in dem überall der Geist vergangener Jahrhunderte und die Pracht des Adels mitschwingen. Das Schlosshotel Zamek Valec hingegen verfügt über fast 100 moderne Zimmer, hat sich aber in einem alten Schlosstrakt einige mittelalterliche Kemenaten bewahrt. Beide – Valec wie auch Heralec – locken mit durchaus zivilen Preisen. Zumindest da zahlt es sich aus, dass die Kraj Vysocina halt doch noch ein weißer Fleck ist in der europäischen Tourismus-Landschaft. Man sollte sich beeilen.

Uwe Nesemann 


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Foto: Michaela Trpin

Autor/in:

Redakteurin / Senior Editor

Michaela Trpin hat Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie Crossmediale Marketingkommunikation studiert und versteht es, ihre im Bachelor- und Masterstudium erlernten Kenntnisse mit der Praxis zu verknüpfen. Ihre Leidenschaft fürs Schreiben und Reisen hat sie, als Teil der Redaktion, zum Beruf gemacht. Im Verlag betreut sie die Themen Karibik, Lateinamerika und Luxusreisen.





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