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Offener Brief zu Bericht "Reisen als Ansteckungsgrund"

Als Reaktion auf einen Bericht in orf.at schlägt Elisabeth Kneissl-Neumayer in einem offenen Brief vor, bei der Einschätzung von „Reisen als Pandemie-Treiber“ differenziert vorzugehen und die Einschätzungen des RKI zu berücksichtigen

Kaum eine andere Branche leidet so sehr unter den Auswirkungen der Pandemie wie Reise und Touristik. Die Verunsicherung bei potenziellen Reisenden hält an und dürfte derzeit sogar wieder steigen. Abgesehen von der derzeit auch für Experten schwer einzuschätzenden Entwicklung der Infektionszahlen im nächsten Halbjahr tragen auch undifferenzierte bzw. teilweise schlampig formulierte oder auch unvollständig recherchierte Berichte in Medien dazu bei.

40% reiseassoziierte Neuinfektionen?

Elisabeth Kneissl-Neumayer, Geschäftsführerin von Kneissl Touristik, nimmt einen Artikel auf orf.at von vergangenem Samstag zum Anlass, sich in einem offenen Brief an die Fachgruppe der Reisebüros in der WKÖ und an das Sozialministerium zu wenden. Der ORF-Bericht geht davon aus, dass „knapp 40% aller Neuinfektionen reiseassoziiert“ seien und verweist auf eine Analyse der AGES. Kneissl-Neumayer kritisiert in ihrem Schreiben, dass bei der Einschätzung nicht unterschieden würde, ob die Reisenden mit einer Pauschalreise unterwegs waren oder etwa zu einer Mega-Party im kroatischen Zrce, das bekanntlich ein Covid-19-Hotspot war.

Kneissl-Neumayer verweist auf das deutsche RKI (Robert Koch Institut), das „zu beschwichtigen versucht, dass eher nicht die klassische Pauschalreise“ zu vermehrten Infektionen führe. Auch eine Streichung südafrikanischer Staaten von der Virusvarianten-Liste sei, anders als in Deutschland, in Österreich nicht erfolgt.

Kneissl-Neumayers Fazit: Man könnte auch jetzt unter Berücksichtigung bestimmter Sicherheitsmaßnahmen gut reisen, allerdings würden Artikel wie der im ORF potenzielle Reisende nicht dazu verleiten.

Der Brief im Wortlaut

Guten Morgen Gregor (Anm.: Kadanka), guten Morgen dem OÖ. Team, sehr geehrte Damen und Herren im Sozialministerium,

den Tag haben wir heute alle wieder mit dieser Meldung auf orf.at begonnen:

Knapp 40 Prozent aller Neuinfektionen reiseassoziiert Knapp 40 Prozent aller Neuinfektionen mit dem Coronavirus in Österreich lassen sich mittlerweile auf Reisen zurückführen. Damit kommt es in Verbindung mit Ferien- und Urlaubsaufenthalten inzwischen zu mehr Ansteckungen als in Haushalten. Das geht aus der gestern aktualisierten epidemiologischen Covid-19-Abklärung der Agentur für Ernährungssicherheit und Gesundheit (AGES) hervor. Von den insgesamt 3.266 in der Kalenderwoche 30 (26. Juli bis 1. August) behördlich nachgewiesenen Fällen ließ sich bei 69,5 Prozent die Infektionsquelle klären. Davon waren 39,3 Prozent reiseassoziiert – insofern nicht erstaunlich, als der Großteil der Bevölkerung im Hochsommer auf Urlaub geht.

Allerdings haben in den beiden unmittelbar vorangegangenen Wochen Reisen nur mit 16,9 Prozent (Kalenderwoche 29) bzw. 15,8 Prozent (Kalenderwoche 28) zum Infektionsgeschehen beigetragen. Zuletzt wurde in 37,5 Prozent der Fälle SARS-CoV-2 im Haushalt übertragen. Ende Juni lag die Quote in diesem Bereich noch bei knapp 60 Prozent. Deutlich zurückgegangen ist auch der Anteil der nachgewiesenen Infektionen in der Hotellerie und Gastronomie, in der Mitte Juli noch mehr als ein Viertel der Fälle auftraten. In der letzten Juli-Woche waren es 5,4 Prozent. Dem Freizeitbereich ließen sich in der Kalenderwoche 30 11,9 Prozent der Infektionen zuordnen – in der Woche davor waren es 20,3 Prozent.

Für Pauschalreisen relativieren

Gibt es bitte jemanden mit einem „Draht“ zu Entscheidungsträgern im Sozialministerium, wo man das für Pauschalreisen relativieren kann? Ich gehe davon aus, dass Zrce einen großen Anteil hier hatte – aber das ist nicht die Pauschalreise, die viele meinen und die wir veranstalten. Mir ist schon klar, dass auch Spanien-Reisende oder Zypern-Reisende Viren heimbringen können.

Aber wenn „reiseassoziiert“, dann muss es doch auch eine Auflistung der Länder geben, aus denen Reisende das Virus bevorzugt heimbringen.

"Verunglimpfung der Branche"

Dieser Artikel verunglimpft unsere Branche wieder einmal. Und ehrlicherweise, wann haben wir zuletzt POSITIV von Reisebüros und Reiseveranstaltern gelesen? Mir ist bewusst, dass uns die Kurzarbeit viel hilft, dass uns viele Maßnahmen der Regierung massiv geholfen haben – dass sie essenziell für unser Überleben waren.

Aber wie letztes Jahr würden wir gerne „starten“ – so richtig starten. Wir tun alles, damit wir einfach ehrlich und ordentlich arbeiten können. Dann dieser „Morgengruß“ von orf.at...

Wir kämpfen mit einer Überzahl von Ländern, in die man nicht einreisen kann und darf, mit steigenden Inzidenzen in Europa, mit Hitze in Südeuropa, mit Bränden in Griechenland, Bulgarien und der Türkei. Jetzt bekommen wir auch noch den „schwarzen Peter“ (wahrscheinlich politisch unkorrekt hoch drei, sorry), weil wir „Treiber der Pandemie“ sind.

Das RKI in Deutschland versucht immer wieder zu beschwichtigen, dass es eher nicht die „klassische Pauschalreise“ ist. Bei uns gibt es das nicht. Wahrscheinlich weil auch kein so Riesenkonzern wie TUI hier mit einer gewaltigen Hausmacht sitzt...

Das RKI (dem wir seit Monaten folgen) hat die Staaten des Südlichen Afrika aus der Virusvariantenliste entfernt, weil die Beta-Variante nicht mehr die Bedeutung hat im Vergleich zur Delta-Variante. In Österreich ist das leider nicht passiert.

Relativierung gefragt

Vielleicht könnte man sich auch derartige Relativierungen überlegen. Im Prinzip kann man auch jetzt ordentlich und mit vernünftigen Sicherheitsmaßnahmen Reisen veranstalten und reisen. Glaubt nur kaum jemand, wenn man das liest. Wie letztes Jahr – ich bin nur ein Nischenveranstalter für Studien- und Erlebnisreisen, bin bei keiner der beiden Interessenvertretungen.

Aber Reisen, ordentliches Reiseveranstalten (was alle Kollegen und Mitbewerber in Österreich machen) ist unser Leben und unsere Leidenschaft.

Und eigentlich immer noch der Arbeitsplatz für viele, viele Tausende ÖsterreicherInnen.

Danke für gemeinsame Anstrengungen in dieser Richtung.

Liebe Grüße

Liesl Kneissl-Neumayer

(red.)


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Foto: tip

Autor/in:

Herausgeberin / Chefredakteurin

Elo Resch-Pilcik, Mitgründerin des Profi Reisen Verlags im Jahr 1992, kann sich selbst nach mehr als 30 Jahren Touristik - noch? - nicht auf eine einzelne Lieblingsdestination festlegen.





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