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Hoffnung ist keine Strategie

Während einer Live-Diskussion im Rahmen der Tourismustage von Tourismuszukunft nahmen deutsche Experten zu der aktuellen Situation Stellung. Dabei wurden der Ist-Zustand festgestellt, für Reisebüros notwendige Maßnahmen erklärt und zukünftige Strategien angedacht.

Der Ist-Zustand sei schnell erklärt, so Peter Möschl, Bereichsleiter Brand Management RTK: „Totaler Shut-down.“ Dass diese klaren Verhältnisse herrschen, sei aber auf einer Seite auch positiv, weil die Fragen bei den kurzfristigen Reisen geklärt sind.

Zur Stimmung bei Endverbrauchern könne der Meinungsforscher Uwe Sonntag, F.U.R. - Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen, erst Ende Mai Ergebnisse präsentieren: „Jetzt die Kunden zu befragen, macht keinen Sinn, weil die Köpfe noch nicht frei sind.“ Die Experten von F.U.R. haben jedoch eine Modellrechnung angestellt, um die Delle in der Reiseintensität zu definieren: „Unser Best-Case-Szenario – wenn wir nur den halben März, den ganzen April und den halben Mai rechnen - selbst dann haben wir in Deutschland einen Ausfall von 10 Mio. langen Urlaubsreisen. Die bedeuten rund 15% des Jahresaufkommens. Und diese Reisen werden auch nicht nachgeholt, die sind weg. Von den Zahlen her wird der Rückgang finster“, so Sonntag. Aber in der Krise würden auch Chancen für die Industrie liegen. „Man denkt viel drüber nach – auch wenn man ‚eingeschlossen ist‘ - was einem Urlaub wert ist. Ich habe die Hoffnung, dass ein bewussterer Kunde rauskommt, der reflektiert, der weiß, was Urlaub für ihn bedeutet. Da besteht auch für die Tourismusindustrie die Möglichkeit, aus der Schleife rauszukommen, dass alles über den Preis verkauft wird, und die Wertigkeit und der Wert des Urlaubs wieder stärker in den Vordergrund rücken.“ Diese 15% Minus würden auf der Rechnung basieren, dass ab Mitte Mai wieder alles so wie vorher sein würde, so Sonntag.

„Danach nicht wie davor“

Hinter diese Aussage setzt Florian Bauhuber, Tourismuszukunft, ein großes Fragezeichen: „Auch wenn wir die Situation beherrschen und als Reisebüros überleben: Unsere Zieldestinationen sind vom Gesundheitssektor nicht so gut aufgestellt, haben auch nicht den ökonomischen Background, um Hilfspakete aufzulegen.“ Es liege nicht nur an der Tourismusindustrie, dass sie wieder Touristen senden können, sondern es liege auch an den Zielgebieten, die diese Situation nicht im Griff haben. Außerdem sei nicht klar, ob Kunden in diese Destination reisen dürfen, wenn dort der Virus noch grassiert. „Ein ‚Danach‘ in der Dimension, wie es ‚davor‘ war, wird es nicht geben, meiner Meinung nach. Ein von ‚heut auf morgen – jetzt geht’s wieder los‘, ist vollkommen unrealistisch, so Bauhuber.

Dieser Ansicht stimmt auch Sommer zu: Der Ausblick mit den 15% sei ein absolut optimistischer gewesen. Es hänge aber nicht am Kunden, sondern an den Rahmenbedingungen, wie Reisebestimmungen aufgehoben oder reglementiert werden würden. Aber ein Großteil der Kunden werde das Reisebedürfnis und die -Lust nicht verlieren. „Wir sind Gewohnheitstiere in unserem Konsumverhalten, sodass ich auf der Kundenseite fast das kleinste Problem sehe. Die Frage ist, wann kann das alles wieder anlaufen, wann werden Grenzschließungen zurückgenommen, wann Reisewarnungen aufgehoben und inwieweit sind die Zieldestinationen in der Lage, Angebote zu liefern. Meine persönliche Meinung, und was auch wir gerechnet haben, wird es noch finsterer mit einer Delle von fast 50%.“ Dieser pessimistischeren Rechnung liege zugrunde, dass man den Mai auch komplett vorgeben müsse. Innerhalb Deutschlands wäre dann ein Minus von 10% zu erwarten, bei Reisen innerhalb Europas ein Minus von 25% und bei Fernreisen ein Rückgang von 75%, weil man davon ausgehen müsse, dass es dorthin am längsten dauern werde.

Kosten niedrig halten

Peter Möschl fordert die Reisebüros aktiv auf, die Kosten niedrig zu halten, Unterstützungen von Bund und Ländern annehmen. Denn: im April würden definitiv noch keine Reisen stattfinden, ist er sich sicher. Réne Morawetz, Dein Reisebüro begeistert, schlägt in dieselbe Kerbe, dass Reisebüros auf die Ausgaben-Bremse steigen sollten. Man müsse auf Kunden zugehen, ihnen sagen, was Reisebüros tun können, den Mehrwert der Reise herausstreichen. Die persönliche Beratung mit digitaler Kommunikation über WhatsApp, Facebook, Telefon und die Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit wie in der Krise auch für die Zeit danach aufrechterhalten.

Richtige Kommunikation als Chance

Marktforscher Sommer könne nicht aus der Reisebüro-Praxis sprechen, sehe aber in der proaktiven Ansprache der Kunden eine gute Möglichkeit, sich für die Zukunft zu positionieren. „Wie Unternehmen jetzt in der Krise kommuniziert haben, oder eben nicht, sehe ich schon als Chance für Reisebüros. Auf die Kunden zugehen – auf den unterschiedlichen Kanälen, und zeigen, ich bin der kompetente, individuelle Ansprechpartner – gerade in Krisenzeiten. Ich wäre jetzt eigentlich gerade auf Sardinien. Was da an automatisierter Kommunikation von Lufthansa oder Eurowings zu den gestrichenen oder umgebuchten Flügen zu mir kommt, ist katastrophal. Ich hab keine Chance, Geld zurückzubekommen, keine Chance, das Call-Center erreichen. In so einer Situation jemand Kompetenten als Ansprechpartner zu haben, der dann auch erreichbar ist, der aktiv auf mich zukommt, ist ein Wert, den ich als Direktbucher nicht habe. Und ich hoffe, dass die vielen Reisebürokunden, die umsorgt wurden, den Mehrwert schätzen. Ein Wert, den die Großen gar nicht schaffen können.“

Mehr Kunden im Reisebüro?

René Morawetz glaube nicht, dass durch die Krise mehr Menschen ins Reisebüro kommen werden: „Traurig, nicht wahr? Ich glaube, dass Kunden, die im Internet buchen, weiter dort buchen; Reisebüro-Kunden buchen weiter im Reisebüro. Ich wehre mich immer dagegen zu sagen, dass Kunden zu uns kommen, nur weil es wo anders schlecht läuft. Ja okay, jetzt kommen Leute, die im Internet gebucht haben und fragen: ‚Könnt ihr mir helfen?‘. Ich glaube aber nicht daran, dass das nachhaltig sein wird.“ Morawetz widerspricht die Trainerin Margit Heuser. Wenn Reisebüros es verstehen würden und selbstbewusst darstellen könnten, was sie können, sei ein Kundenzuwachs schon möglich. Heuser schicke jetzt alle Leute, die Probleme bei den Airlines mit Umbuchungen oder Stornierungen haben, ins Reisebüro. Die müssten dann aber klar machen, was sie leisten. „Ich komme gerade aus einem Webinar mit Reisebüros: Sie wissen nicht, wie gut sie sind. Sie wissen es leider nicht zu verkaufen, was sie können, für was sie stehen.“

Das sieht auch Roland Trebo, Tourismuszukunft, ähnlich: „Das Reisebüro hat mich als Kunde verloren, als ich realisiert habe, dass es nicht mehr machen kann als ich von zu Hause aus. Wenn es aber gerade in der Krisenzeit schafft, mir zu zeigen, dass es mehr kann, mir das Gefühl gibt, dass ich gut aufgehoben bin, dass ich einen Ansprechpartner, einen Fixpunkt habe, dann kann das Reisebüro profitieren.

Zeit nützen, Strategien überlegen

Für die Zukunft sind die Experten einig, dass es nicht genau so weitergehen wird, wie vor der Krise. Peter Möschl sehe in der Anfangsphase, wenn die Menschen wieder rausgehen dürfen, die Chance, dass Reisebüros als Freizeitberater auftreten könnten. Denn das Bedürfnis zu reisen werde weiterhin da sein, wenn auch in der ersten Zeit nach der Krise etwas eingeschränkt. „Menschen werden nach der Krise an allem sparen, aber nicht an der Reise“, ist Florian Bauhuber überzeugt. Vor allem müssen die Reisebüros die Zeit nützen, um sich für die Zukunft richtig zu positionieren und auch auf ein verändertes Arbeiten einstellen. Möschl glaube, dass sich die Wertschöpfungsketten verändern werden, es direkteren Kontakt mit Leistungsträgern geben werde, da der eine oder andere gewohnte Anbieter nicht mehr da sein werde.

Der Berater Bauhuber hat viele Strategien für Reiseunternehmen entworfen. Die überwiegend kleinste Nachfrage nach seinen Diensten habe er aus der Sparte Reisebüros und -mittler erfahren. „Die Positionierungsfragestellung: ‚Wer bin ich, was mache ich?‘ fehlte in diesem Segment komplett.“ Doch gerade jetzt sei es wichtig, die Zeit zu nutzen, um sich mit sich selbst zu beschäftigen und die Ausrichtung für die Zukunft zu definieren.

René Morawetz erinnert an die Tourismuszukunft-Session mit Michael Buller von gestern: „Nur noch draufdrücken und buchen, wird nicht mehr sein. Der Kunde, der weiß was er will, der braucht dich nicht.“ Jetzt sei es daran, die Zielgruppe herauszufiltern, die Reisebüros brauchen, die nicht wissen, was sie wollen. Nebenbei erlebe die Gesellschaft durch die Isolation einen immensen Digitalisierungsschub. Den müssen Reisebüros mitmachen. Es dürfe nach der Krise nicht ein ähnliches Szenario wie in den Schulen von vor ein paar Jahren entstehen, als die Kinder digital waren, und die Lehrer nicht.

Agil sein, raus aus der Schockstarre - Reisebüros müssen die Zeit nützen, den eigenen Wert, den Service herauszustreichen, sehe Heuser als die wichtigsten Aufgaben. Denn: „Hoffnung ist keine Strategie!“ (red)


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Autor/in:

Redakteur / Managing Editor

Dieter ist seit fast 25 Jahren wichtiger Teil des Profi Reisen Verlag-Teams. Fast jedes geschriebene Wort, das die Redaktion verlässt, geht über seinen Schreibtisch.





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