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Buller: Chancen am Abgrund

Während eines Live-Seminars der Tourismuszukunft nahm Michael Buller, Präsident des v-i-r  - Verband Internet Reisevertrieb, Stellung zu der aktuellen Lage in der Branche. Er sehe sie nahe am Abgrund, aber er sehe auch gute Chancen für die Zukunft.

Buller mache zwei große Probleme aus: Die Tourismusbranche sei anderen Branchen um ein paar Wochen voraus. Die Umsätze brechen schon seit ein paar Wochen weg – in der Kreuzfahrtindustrie noch etwas länger. „Die zweite Besonderheit, die uns jetzt um die Ohren fliegt, ist die Rückzahlungsverpflichtung. Wenn du vor sechs Monaten in einem Restaurant warst, kommt keiner auf die Idee, dass das jetzt rückabgewickelt werden muss. Aber genau das passiert jetzt bei uns, und das führt zu enormen Rückzahlungen aller Unternehmen: Airlines müssen Geld zurückzahlen, zum Beispiel an Endkunden, an Consolidator oder Veranstalter. Reisebüros oder Vermittler müssen ihre Provision zurückzahlen, Reiseveranstalter, Hotels müssen Gelder rückerstatten. Das bringt uns gerade nahe an den Abgrund, wenn wir dafür keine gute Lösung finden.“

Fondlösung oder Gutscheine

Lösungen wären für die Teilnehmer Gutscheine, die an Stelle der Bar-Rückzahlungen ausgegeben werden könnten. Da brauche es aber eine staatliche Garantie. Auch eine Fondslösung, ähnlich die „Bad Banks“ in der Finanzkrise, denkt Buller an. In diesen Fonds sollen alle Gelder aus Rückzahlungsforderungen von Fluglinien, Hotels und Veranstaltern einbezahlt werden. Positiv und vereinfachend sei, dass alle touristischen Vorgänge in nur wenigen technischen Systemen erfasst, und in den Mid- und Back-Office-Programmen alle Buchungen greifbar seien. Der Prüfprozess für Rückvergütungen könnte also zentralisiert laufen. In weiterer Folge könne die Fluglinie, das Reisebüro, der Veranstalter Geld aus dem Fonds an Kunden zurückzahlen. Ein Reisebüro, das Provisionen zurückzahlen müsse, hätte dann zwar Verbindlichkeiten gegenüber dem Fonds. Aber: Bei entsprechend langer Abwicklungsdauer – Buller spricht von drei bis zehn Jahren –, und einem minimalen Zinssatz würde die Liquidität in alle Richtungen erhalten bleiben und Reisebüros könnten das stemmen. „In den ‚Bad Banks‘ wurden ‚faule Kredite‘ geparkt und im Nachgang abgewickelt. Wie man heute weiß, war das gar kein so schlechtes Geschäft, der Schaden war viel, viel kleiner als gedacht. Ein ähnliches System würde die Touristik am Leben erhalten.“

Gutes Zeugnis für Verbände

Die Branchenvertreter würden allesamt einen guten Job machen, streicht Buller hervor. „Wir machen das Gegenteil von Kurzarbeit – wir sind 17 Stunden am Tag aktiv.“ Es würde auf juristischer Ebene informiert und beraten, Sessions für die Mitglieder abgehalten, Websites eingerichtet und mit stets aktuellen Daten gefüttert. Es gebe auch sehr viel Austausch zwischen den Verbänden, jeder habe auch Gespräche mit Politikern, oder mit der Presse. Jeder würde versuchen, die Dringlichkeit der Probleme rasch nach außen bringen. Was man nicht vergessen dürfe sei, dass „wir viel weiter als andere Branchen sind. Die Arbeit, die die Verbände jetzt leisten, hilft anderen Industrien. In die Probleme, die wir bereits haben, laufen die anderen Branchen erst hinein. Ich hoffe, dass die Arbeit, die wir für die gesamte Industrie machen, auch der eigenen zugutekommt“; mahnt Buller rasche Maßnahmen für die Tourismusindustrie ein.

ITB-Absage: schmerzlich aber richtig

„Wir müssen uns vor Augen führen, wie diese Krise unsere Arbeit beeinflusst hat. Da haben wir noch gedacht, die Absage der ITB sei kein gutes Zeichen für die Touristen gewesen. Nach dem Motto: Wie wollen wir die auf Reisen schicken, wenn wir selbst nicht mal zur ITB gehen.“ Im Nachhinein habe man aber festgestellt, dass dies eine sehr, sehr schlaue und mutige Entscheidung gewesen sei – schmerzlich, aber richtig. „Darauf folgte, dass die eine oder andere Destination wegfiel, Flüge wurden gecancelt, Visabestimmungen geändert. Da haben wir noch gedacht, unsere größte Aufgabe sei, dem Kunden zu erklären, welche Rechte er hat: Darf er stornieren, was bekommt er zurück. Dann haben wir festgestellt, dass immer mehr und mehr Destinationen komplett dicht machen. Was vielleicht auch ganz gut war, weil alle fünf Minuten eine neue Situation in den Ländern aufgetaucht ist. Mal vor, mal zurück, das war für alle im Tourismus nicht mehr zu handeln – deswegen der komplette Shut-down.

Jetzt ist die Situation, dass der Shut-down womöglich nicht zwei Wochen dauert, sondern zwei Monate. Das stellt uns vor ganz andere Probleme, die existenziell für die Unternehmen werden. Wir müssen jetzt überlegen: Wie lösen wir die einzelnen Bausteine, die da drinnen sind? Wie passen die Konzepte, die die Bundes- und Landesregierungen vorschlagen? Alle Verbände machen derzeit großartige Arbeit, haben meinen größten Respekt, da steckt auch sehr viel Herzblut drinnen!“, so Buller. Aber an bestimmten Stellen sei man abhängig, ob die Politik die Botschaften versteht, denn die Tourismusbranche habe Besonderheiten, die andere nicht haben.

Empfehlung an Kritiker: „Beten, dass wir es schaffen“

Über Tourismus-Basher kann sich Buller fürchterlich aufregen. Er weise dann immer darauf hin, dass 10% der Weltwirtschaft der Tourismus generiert. „In Deutschland schafft der Tourismus 3 Mio. direkte Arbeitsplätze. Zum Vergleich: die Autoindustrie 800.000. Wir haben auch noch 1,2 Mio. indirekte Arbeitsplätze, die vom Tourismus geschaffen werden. 15 Urlauber erschaffen einen Arbeitsplatz im Ausland. Auch da werden wir erleben, was passiert, wenn Touristen nicht mehr kommen. Ich erwarte mir auch kein Mitleid von Kritikern, sondern nur Respekt. Auch der Bäcker um die Ecke profitiert von Touristen, die Brot kaufen.“

Kritikern empfiehlt Buller am besten beten zu gehen, denn wenn es die Tourismusindustrie nicht schaffe, dann haben sie in ihrem Umfeld und Geschäftsleben auch Probleme. Der Wert, den die Tourismusindustrie leistet, werde jetzt zum ersten Mal ganz, ganz deutlich. Das sei auch eine Chance für die Branche.

"Reisefreiheit, die die ganze Zeit diskutiert wird – Grenzen schließen, wir haben das jetzt. Wir sehen jetzt, wie eine Welt ausschaut, die so ist, wie uns manche Populisten gerne erklären würden, wie sie ausschauen sollte. Ich glaube, das ist fehlgeschlagen. In dieser Situation stecken wahnsinnig viele Erkenntnisse und Chancen, die wir echt nutzen sollten“, wird Buller emotional.

Spannende Entwicklungen

Man müsse auch darüber nachdenken, welche Entwicklungen im Geschäftsleben passieren. Es komme jetzt das, was der v-i-r schon lange fordert und fördert – die Verschmelzung von analog und digital. Es würden gerade spannende Entwicklungen entstehen. „Dass wir hier bei der Veranstaltung von Tourismuszukunft mit 470 Leuten in einer Video-Konferenz sitzen, ist schon was Neues. Plötzlich stellen wir fest, das geht.“

Man müsse auch darüber nachdenken, wie in Zukunft die Produkte aussehen werden. Buller glaubt nicht, dass ein „weiter so“ und „einfach wieder hochfahren“ funktionieren werde. „Wir müssen die Zeit nutzen, um nach vorne zu schauen und zu fragen: Wie verändert die Krise meine Kunden, wie verändert sie mein Produkt, wie verändert sie auch mein Geschäftsmodell?“

Positiv in die Zukunft

Buller sehe die Zukunft nicht so trist – aus zweierlei Gründen: Erstens habe er einen Artikel gelesen, der diese nicht so schwarz aussehen ließe, wie auch er gedacht habe. Und zweitens: „Die Menschen müssen jetzt, am Beispiel Italien, auf engstem Raum, möglicherweise für ein Monat ausharren. Der größte Wunsch, den sie haben werden, ist der, sich mit Freunden zu treffen, etwas zu erleben. Vielleicht wird das Erlebnis wieder etwas wert.“ Als Industrie müsse man jetzt auch mal ehrlich zu sich sein. Man habe am Schluss das Produkt am Ramsch-Tisch gehabt. Ohne Gutschein sei es – auch bei den Digitalen – nicht mehr zu verkaufen gewesen. Das sei vollkommen normal gewesen. „Ich glaube, das müssen wir jetzt ändern. Und die Leute verstehen jetzt auch, wie wertvoll reisen ist, wie wertvoll es ist, sich mit Freunden zu treffen. Ich glaube, das ist auch eine Chance, dass Reisen wieder die Wertigkeiten bekommen, die sie verdienen“; so Buller.


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Autor/in:

Redakteur / Managing Editor

Dieter ist seit fast 25 Jahren wichtiger Teil des Profi Reisen Verlag-Teams. Fast jedes geschriebene Wort, das die Redaktion verlässt, geht über seinen Schreibtisch.





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