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Th. Lehmann: Jetzt ist nicht Zeit, um Marktanteile zu kämpfen

Thorsten Lehmann, Shareholder und CEO von Sunny Cars, sieht in der Krise auch Chancen für eine Veränderung des Bewusstseins. Er geht davon aus, dass künftig klein und fein mehr an Bedeutung gewinnen wird.

Vom Status Quo vor der Krise sind die Buchungen des Münchner Mietwagenbrokers noch weit entfernt. Dennoch ortet Thorsten Lehmann, Shareholder und CEO von Sunny Cars, einen leichten Anstieg. Über alle Märkte und Kanäle betrachtet, gehen derzeit rund 1.000 Buchungen pro Tag ein. Der totale Reisestopp hat dazu geführt, dass das Unternehmen seine Ziele neu definiert hat und statt der ursprünglich angepeilten 900.000 Buchungen nun für das nächste Jahr nur knapp die Hälfte davon anvisiert.

Reisebüros werde es auch nach der Krise noch geben, allerdings täten sie gut daran, auch selbst zu veranstalten und Produkte anzubieten, die es anderswo nicht gäbe, so Lehmann. Urlaub werde künftig mehr zum Luxusgut, da sich viele Verreisen nicht mehr leisten könnten. In Deutschland sei derzeit eine prozentuelle Steigerung bei der Nachfrage nach Mietwagen festzustellen. Wichtig sei in der aktuellen Lage, dass nicht nur über den Preis verkauft werde. Das wünscht sich Lehmann von der ganzen Branche.

Fragen & Antworten

tip-online: Wie geht es Sunny Cars im Moment?
Thorsten Lehmann: Nicht gut, nicht schlecht. Wir versuchen, mit der Situation so gut wie möglich umzugehen. Wir haben in den letzten Jahren die erwirtschafteten Gewinne überwiegend im Unternehmen belassen und haben Rücklagen, so dass wir ein bisschen entspannter gelassen in die Zukunft schauen können und Entscheidungen nicht sofort treffen müssen. Kai (Anm.: Sanwald) und ich sind weitgehend entspannt.

tip-online: Welche Entscheidungen zum Beispiel?
Thorsten Lehmann: Eine der Fragen wird sein, welche Rolle künftig der stationäre Vertrieb, welche Rolle E-Commerce in Zukunft spielen werden. Wir haben bisher immer gezeigt, dass wir ein guter und verlässlicher Partner sind. Eine der Fragen, die wir uns stellen, ist, was wir tun müssen, um diese Basis aufrechtzuerhalten. In Deutschland sind die Herausforderungen groß, in Österreich haben wir sie uns noch nicht so genau angeschaut. In der Schweiz, die von Umsatz und Profit her einer unserer Lieblingsmärkte ist, gucken wir, dass wir ebenfalls keine Anteile verlieren. Momentan haben wir jedenfalls einen Investitionsstopp in allen Bereichen. Die nächsten Entscheidungen wollen wir Mitte Juli treffen.

Luxusgut Urlaub

tip-online: Wie habt ihr auf den Lock-down reagiert? 
Thorsten Lehmann: Wir haben Kurzarbeit für 12 Monate angemeldet. Noch ist offen, ob wir das bis Februar 2021 ausnutzen werden. Manche unserer 185 Mitarbeiter haben null Kurzarbeit, manche 70, 50, 30 oder 20. Kurzarbeit ist in jedem Land anders geregelt. In Österreich haben wir keine eigene Niederlassung, zahlen aber Steuern. Dennoch können wir dort keine Kurzarbeit einführen. In den Niederlanden gibt es keine Kurzarbeit, jedoch übernimmt der Staat einen Teil des Gehalts, wenn nachgewiesen ist, dass das Geschäft zurückgegangen ist. Die Frage ist immer, was das geeignete Mittel ist, um Mitarbeiter zu halten.

tip-online: Wann rechnest du mit einer Rückkehr zur Normalität beim Reiseverhalten?
Thorsten Lehmann: Das weiß keiner. In zwei Jahren? Da spielen ja auch noch andere Faktoren mit, wie Hygienemaßnahmen oder genügend Zeit und Geld für Reisen. Urlaub wird mehr zum Luxusgut werden. Eine weitere Frage ist auch, ob es für die Zukunft überhaupt genügend Flugkapazitäten geben wird. Da ist ja einiges in Bewegung.

tip-online: Wie hat sich die Krise auf Sunny Cars in Zahlen ausgedrückt ausgewirkt?
Thorsten Lehmann: Unser altes Ziel war, 900.000 Buchungen zu erreichen. Jetzt gehen wir für nächstes Jahr von 430.000 aus. Aber wir wollen pro Buchung wieder mehr verdienen. Die 900.000 werden wir vielleicht zwei oder drei Jahre nicht anstreben. Das hängt auch davon ab, was mit Reisebüros und Veranstaltern passiert, welche Kanäle bespielt werden. Danach werden wir unsere Entscheidungen orientieren. Per heute fehlen uns 330.000 Buchungen. Über alle Märkte über alle Vertriebskanäle halten wir derzeit bei rd. 1.000 Buchungen pro Tag, das entspricht teilweise 20% bis 25% des Vorjahres. Der Anteil der Vertriebskanäle ist ungefähr gedrittelt, stationärer Vertrieb, Online und Endkunden.

Nicht das Ende der Reisebüros

 

tip-online: Für wann wird jetzt gebucht?
Thorsten Lehmann: Überwiegend kurzfristig für Sommer. Buchungen für weitere Monate sind eher auf niedrigem Niveau.

tip-online: Habt ihr besondere Storno-Bedingungen eingeführt?
Thorsten Lehmann: Storniert werden kann bis kurz vor Mietbeginn, bis zwei Stunden davor. Das haben wir in Österreich schon vorher angeboten. Wir tun alles, um unsere Kunden glücklich zu machen. Unsere Vertriebspartner haben wir bessergestellt als Kunden bei Direktbuchungen.

tip-online: Wie siehst du die Zukunft des Reisebüros?
Thorsten Lehmann: Das ist sicher nicht das Ende des stationären Vertriebs. Reisebüros, die nachhaltige wirtschaften und Kunden beraten, haben eine Zukunft. Die Frage ist, wer braucht ein Reisebüro? Reisebüros vergessen oft, dass sie nicht Produzent der Reisen sind. Der Kunde findet immer einen Weg zu seinem Urlaub. Wichtig ist, dass Produkte angeboten werden, die es anderswo nicht gibt. Es wird sicher eine Marktbereinigung geben. Reisebüros können sich abheben, wenn sie selbst veranstalten. Wenn sich da jetzt nichts verändert, dann sind wir bei der nächsten Krise wieder in derselben Situation.

tip-online: Wenn Reisebüros selbst veranstalten, braucht es dann noch die großen Veranstalter?
Thorsten Lehmann: Als Reisebüro brauchst du Veranstalter, die sehr gute Qualität liefern. Das kannst du als Mikro-Veranstalter nicht. Du kannst das Produkt aber anreichern mit Zusatzleistungen. Die TUI ist Brot- und Buttergeschäft. Erstmal geht es ohne große Veranstalter nicht. Selbst zu veranstalten ist für Reisebüros auch ein hohes Risiko, weil es haften muss.

tip-online: Wird die Nachfrage nach Mietautos künftig steigen?
Thorsten Lehmann: Zunächst wird sich erst einmal die Frage stellen, wer kann sich in Zukunft Urlaub leisten? Es ist durchaus vorstellbar, dass mehr Kunden zu Mietwagen greifen, das prozentuelle Verhältnis wird sich ändern. Wir sehen das schon für Deutschland als Quell- und als Zielmarkt. Für die Entwicklung in Zukunft bin ich nicht so negativ eingestellt. Der Kunde muss aber erst mal wieder wegwollen und -können. Dann bietet sich die Chance für mehr Qualität. Wir müssen aufpassen, dass nichts verramscht wird. Jetzt ist nicht die Zeit, um Marktanteile zu kämpfen. Kunden gewinnen muss auf Basis von Leistung geschehen, da steht Verantwortung an erster Stelle und das kostet Geld. Ich hoffe, dass da die ganze Branche mitmacht.

tip-online: Glaubst du, dass sich das Produkt künftig verändern wird?
Thorsten Lehmann: Ja, auf jeden Fall. Die Masse reist vorerst nicht. Die Kunden, die verreisen, werden sich mehr Leistung und Service erwarten. Es wird in Richtung klein und fein gehen. Wer das anbietet, ist langfristig Gewinner. Jeder hat Anspruch auf Urlaub, also ist das auch ein soziales Thema, wenn Urlaub teurer wird.

tip-online: Wird Nachhaltigkeit künftig eine größere Rolle bei Urlaub spielen?
Thorsten Lehmann: Ja, Nachhaltigkeit wird stärker werden. Es wird einen Wandel geben, gesellschaftlich und im Konsumverhalten. Ich glaub, dass das eine Entwicklung nach vorne sein wird. Daraus kann man jetzt etwas machen. Es gibt eine Veränderung im Bewusstsein der Menschen, dass alle mitmachen müssen, damit etwas passiert. Für uns sehe ich darin ebenfalls Chancen. Auch 450.000 Buchungen pro Jahr können Freude machen und Gewinn abwerfen. Es findet ein Umdenken statt, auch bei uns. (red.)


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Foto: tip

Autor/in:

Herausgeberin / Chefredakteurin

Elo Resch-Pilcik, Mitgründerin des Profi Reisen Verlags im Jahr 1992, kann sich selbst nach mehr als 30 Jahren Touristik - noch? - nicht auf eine einzelne Lieblingsdestination festlegen.





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